Wolkenstein im Laufe
der Jahrhunderte

Geologie

Unsere Berge wurden im Wasser geboren.

Bellerophon

Die Dolomiten haben sich großteils während der Triaszeit vor 252 bis 200 Millionen Jahren gebildet. 
In der oberen Permzeit und in der Triaszeit waren alle Kontinente in einer  riesigen Kontinentalmasse vereint: die Pangäa (aus dem Altgriechischen, „gesamtes Land“). In der Mitte dieses Superkontinentes befand sich die Paläotethys, ein tropischer Ozean, der sich am Äquator entlang in Ost-West-Richtung erstreckte und Pangäa in zwei teilte, Laurasia im Norden und Gondwana im Süden. Pangäa war nach außen hin vom Panthalassaozean (aus dem Altgriechischen „alle Meere“) umgeben. Das Gebiet der heutigen Dolomiten lag damals viel weiter im Süden, fast am Äquator und war von der Paläotethys bedeckt, es befand sich aber trotzdem ziemlich nahe an der Küste der Pangäa. Alle Gesteine im Gemeindegebiet von Wolkenstein haben sich in diesem Urozean gebildet. Der Meeresboden sank damals kontinuierlich ab. Dieses Phänomen wird Subsidenz genannt und ist der Schlüssel, um zu verstehen, wie sich in einem seichten Meer mehrere tausend Meter dicke Schichtpakete anhäufen konnten. Wenn der Meeresboden absinkt, dann bildet sich immer neuer Platz, der von Meeresablagerungen aufgefüllt werden kann. 

Die Basis der Dolomiten
Die ältesten Gesteine im Gemeindegebiet von Wolkenstein gehören zur Bellerophon-Formation aus der oberen Permzeit vor etwa 253 Millionen Jahren. Diese Schichten bestehen aus dunklen Kalk- und Dolomitgesteinen, ein Zeichen für viel Leben im Meer und wenig Sauerstoff am Meeresboden. Ihren Namen verdanken diese Schichten einer kleinen fossilen Schnecke, dem Bellerophon.  Am Ende der Permzeit, vor 252 Millionen Jahren, kam es zum größten Massensterben aller Zeiten (nicht zu verwechseln mit dem Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren).  Damals starben rund 90% aller Arten aus. Die Ursachen für diese Katastrophe hängen höchstwahrscheinlich mit gigantischen Vulkaneruptionen in Sibirien zusammen. Die Gesteine, die sich damals abgelagert haben, bilden die so genannte Perm-Trias Grenze, mit der Bellerophon-Formation aus dem Ende der Permzeit und der darauf folgenden Werfen-Formation, die schon zur Triaszeit gehört. Nach dem fürchterlichen Massensterben wurden die Meere nur von wenigen Muschelarten bevölkert, darunter die Claraia. Diese Muschel ist in den Ablagerungen dieser Zeit so häufig, dass sie als Leitfossil der Werfen-Formation gilt. Claraia hatte sich an ein Leben im sauerstoffarmen Meer angepasst und konnte sich deshalb massenhaft verbreiten.

Die ersten Riffe der Dolomiten
Die Korallenriffe am Roten Meer, bei den Seychellen und Malediven sind weltbekannt. Während der Triaszeit haben sich auch im Dolomitengebiet Riffe gebildet, die äußerlich diesen heutigen Ferienparadiesen sehr ähnelten. Trotzdem waren damals die riffbauenden Organismen vollkommen anders. Heute sind vor allem Koralle am Bau der Riffe beteiligt. Diese Tiere leben in riesigen Kolonien und bauen ihre Skelette aus Kalkstein. Mit der Zeit türmen sich diese Skelette zu gigantischen Korallenriffen auf.
Während der ersten 10 Millionen Jahre der Triaszeit waren die Riffbauer entweder ausgestorben oder extrem selten. Vor allem die Koralle waren beim Massensterben am Ende der Permzeit fast vollkommen ausgerottet worden und deshalb nicht in der Lage, unser Gebiet neu zu besiedeln. Es mag zwar absurd klingen, aber die älteste Karbonatplattform (Gesteinskörper, der seine Umgebung überragt und aus vor Ort abgelagerten Kalkablagerungen besteht) der Dolomiten, die Contrin-Formation, wurde vor allem von Kalkalgen (Algen mit Kalkskelett), Kalkschwämmen und Bakterienkrusten aufgebaut. 
Die Contrin-Formation ist bei Juac und bei der Costa Muliac gut aufgeschlossen.
Gegen Ende des oberen Anis, vor fast 238 Millionen Jahren, begann die Contrin-Formation in mehrere Stücke zu zerbrechen. Wo das Meer am seichtesten war, siedelten sich neue Riffbauer an und bauten ihre Kalkskelette auf. So entstand die zweite Generation von Karbonatplattformen der Dolomiten: der Schlerndolomit. Am Anfang des Ladin vor 234 Millionen Jahren sind diese Riffe sehr schnell in die Höhe emporgewachsen. Zu den Riffbauern gehörten vor allem Kalkalgen. Diese Pflanzen brauchen das Sonnenlicht zum Wachsen und deshalb gedeihen sie nur im flachen Meer. Da der Meeresboden kontinuierlich bis zu 300 Meter in einer Million Jahren absank, mussten die Riffe gleich schnell in die Höhe wachsen, um auf der selben Quote zu bleiben. So erreichte der Schlerndolomit in etwa 3 Millionen Jahren eine Mächtigkeit von 800 Metern. Der Schlerndolomit bildet die Geislerspitzen, die Basis des Langkofels, den Schlern und wahrscheinlich den Kern der Sella. 

Dort, wo sich keine Riffe ausbreiteten, lagerte sich die wenige dutzend Meter mächtige Buchenstein-Formation am Meeresboden ab; sie besteht aus Platten-, Bänder- und Knollenkalken (mit Silexknollen). 

Die Clinostratifikation der Riffe
Wenn man sich die Dolomiten-Riffe ganz genau anschaut, dann erkennt man neben vertikalen Rissen auch sehr viele geneigte Schichten. Diese Clinoformen genannten Schrägschichten sieht man am Langkofel, im Langental, bei der Stevia und rund um die Sella. Es handelt sich dabei um die geneigten Flanken der Riffe, wo nach neuester Erkenntnis die Riffbauer an Ort und Stelle ihre Kalkskelette und Kalkkrusten abgelagert haben und sich von den Nährstoffen, die vom offenen Meer herangespült wurden, ernährten.

Vulkane bedrohen die Riffe
Gegen Ende des Ladin, vor etwa 228 Millionen Jahren, lag das heutige Gebiet von Wolkenstein mehrere hundert Meter unter dem Meeresspiegel und war von Riffen umgeben, die heute die Geislerspitzen, den Langkofel und wahrscheinlich auch den Kern des Sellastocks bilden; die anderen Berge hatten sich noch nicht gebildet. 
Die Riffe des Schlerndolomites wurden damals von Erdbeben erschüttert, die gewaltige Untermeer-Lawinen mit sich zogen. Diese fossilen Gerölllawinen nennt man heute „caotico eterogeneo“. Bald darauf begann sich der Meeresboden zu heben, und es taten sich kilometerlange Risse auf, aus denen flüssiges Magma herausquoll. Der gewaltige Vulkanismus dauerte mindestens 500.000 Jahre und dabei wurden Unmengen von Vulkanasche und Basaltlava abgelagert. Man kann diese Vulkanite auf der Seceda, am Col Raiser, am Juac, Piz Sela, Ciampinëi und vor allem auf der Seiser Alm beobachten.
Am Ende dieser vulkanischen Phase, zwischen dem Ende des Ladin und dem Anfang des Karn, begannen die Riffe, die durch die Vulkantätigkeit stark in Mitleidenschaft gezogen wurden, wieder zu wachsen. Zu jener Zeit sank der Meeresboden kaum mehr ab und sobald die Riffe die Meeresoberfläche erreichten, konnten sie nicht mehr weiter in die Höhe wachsen, sie mussten sich folglich seitlich ausbreiten. Es bildeten sich so die sehr breiten, oft atollartigen Riffe des Cassianer-Dolomites: Puez, Stevia, Cir, Sella und die Langkofelgruppe. Bei diesen Riffen gehören erstmals auch die Korallen zu den wichtigsten Baumeistern. Sie bauen so durch ihre Kalkskelette die ersten echten Korallenriffe der Dolomiten. 
Wie wir gesehen haben, bauen die Riffbauer ihre Skelette aus Kalkstein, folglich bestanden auch die Dolomiten-Riffe ursprünglich aus diesem Gestein. Weshalb bestehen Dolomiten dann heutzutage aus Dolomit und nicht aus Kalkstein? 
Der Dolomit hat ein sehr geordnetes Kristallgitter. Schichten aus Kalziumionen wechseln sich mit Schichten aus Magnesium- und Karbonationen ab. Um ein solches geordnetes Kristallgitter zu erhalten, braucht es ziemlich viel Wärmeenergie. Der genaue Prozess, der die gewaltigen Kalksteinriffe der Dolomiten in Dolomit verwandelt hat, ist noch nicht ganz geklärt. Möglicherweise haben die unterirdischen Magmakammern das im Meeresboden enthaltene Wasser aufgeheizt und mit Magnesium angereichert. Das kochend heiße Vulkanwasser begann aufzusteigen und durchströmte die Riffe. Dabei kam es zum Austausch zwischen Kalzium- und Magnesiumionen und in hunderttausenden von Jahren verwandelte sich der Kalkstein in Dolomit. 
Einige Riffe der Dolomiten wie die Marmolata, Teile des Latemar, der Monte Agnello und die Vallaccia haben sich auf mysteriöse Weise der Dolomitisierung entzogen und bestehen noch immer aus Kalkstein. Diese Riffe lagen sehr nahe an den wichtigsten Vulkanen bei Predazzo und Monzoni und wurden so vollkommen von Vulkangesteinen begraben. So waren sie von den Vulkangewässern abgeschnitten und es kam zu keiner Umwandlung. In der nächsten Phase hat sich der schon durch die Riffe stark überwucherte Meeresboden weiter mit Sedimenten aufgefüllt. Diese rötlichen Schichten kennt man als Raibl-Formation mit dem Leitfossil Myophoria kefersteini. Im Norikum, vor 220 Millionen Jahren, hatte sich das Dolomitengebiet zu einer riesigen Gezeitenebene entwickelt, die bei Flut vom Meer überflutet wurde und bei Ebbe trocken fiel, ein Zyklus, der sich zwei Mal täglich wiederholte. In diesem Lebensraum wucherten riesige Bakterienteppiche aus Cyanobakterien, die eine schleimige Oberfläche aufwiesen. Während der Flut wurden feinste Kalkpartikel in die Gezeitenebene geschwemmt, und diese blieben auf der schleimigen Oberfläche der Bakterienteppiche kleben. Bei jeder Flut kam eine Schicht dazu, und so bildeten sich allmählich hauchdünne Kalkschlammschichten, die aufgestapelten Papierblättern ähneln: die Stromatolithen. 
Diese Gezeitenzyklen wiederholten sich für 10 Millionen Jahre, und dabei wurde ein Gestein aufgebaut, das wir Hauptdolomit nennen. Aus Hauptdolomit besteht der obere Teil der Puez und Gardenaccia-Hochebene sowie die oberen Teile von Stevia und vom Sellastock. In diesem Gestein sind die „gehörnten“ Muscheln Dicerocardium und Neomegalodon ziemlich häufig. Die jüngsten Gesteine im Gemeindegebiet von Wolkenstein finden sich auf der Puezhochfläche und am Piz Boè, dabei handelt es sich um die Puez-Formation, die sich vor etwa 140 bis 100 Millionen Jahren während der unteren  Kreidezeit abgelagert hat.

Die Entstehung der Dolomiten
Nachdem sich die Schichten im Meer abgelagert hatten, kam es zu einer Hebungsphase. Die afrikanische Kontinentalplatte verschob sich langsam nach Norden, und so kam es zwangsläufig zum Zusammenstoß mit der europäischen Kontinentalplatte. Die Meeresablagerungen, die sich zwischen den zwei Kontinentalplatten befanden, wurden langsam aus dem Meer herausgedrückt, und in Millionen von Jahren erreichten sie die heutige Höhe. Diesen Prozess nennt man Orogenese, und dabei bildeten sich die Alpen und folglich auch die Dolomiten.

© Herwig Prinoth