Wolkenstein im Laufe
der Jahrhunderte

Die Geschichte

Von den Rätern über die Römer bis zum Ende des 19. Jahrhunderts

Val cun a man ciancia l Ciastel de Val. Dessot la ustaria de Val y l vedl Schießstand. Ntëur l 1905.
L Ciastel - Fischburg aldò de n dessëni de Johanna von Isser (1837).
Oswald von Wolkenstein (1377 - 1445)

Bereits in der Bronze- und der Eisenzeit (850 bis 15 v. Chr.) bewohnten verschiedene Völker die Zentralalpen. Als dann die Römer die Alpen erreichten, wurden alle dort sesshaften Völker als Räter bezeichnet. Um welches Volk genau es sich bei den Rätern handelte, ist nicht bekannt. Historiker sind sich noch heute uneinig darüber, ob sie etruskischer oder keltischer Abstammung waren. Rätien war für die Römer unter Kaiser Augustus (ab 15 v. Chr.) nur eine Region, die es zu verwalten galt. Die Völker, die dieses Gebiet bewohnten, wurden nicht als Völker gleicher Abstammung gesehen. Das Volk wehrte sich soweit wie möglich gegen die römische Herrschaft, hatte aber gegen das gut organisierte römische Heer keine Chance. So verloren die Räter unter den Römern langsam ihre Identität und ihre Sprache wurde „romanisiert“: Das Rätische wurde mit dem Lateinischen vermischt. Noch heute gibt es in der ladinischen Sprache viele Wörter rätischer Abstammung, so z. B. „crëp“ (Berg), „roa“ (Geröll), „troi“ (Weg), „barantl“ (Latsche), „dascia“ (Tannenzweige) u.a. Dass die Römer durch unser Tal gezogen sind und sich z. T. sogar hier niedergelassen haben, beweisen archäologische Funde römischer Grabstätten (z. B. in St. Christina). Den Römern verdankt die autochthone Bevölkerung aber auch viele Neuerungen, so z. B. das Bauen von Ziegelsteinhäusern, das Bewirtschaften der Felder oder das soziale Zusammenleben. Nach dem Fall des Römischen Reiches 476 n. Chr. wurden die Alpen (vom Friaul bis nach Bozen) zum Durchzugsgebiet für viele Völker, bis sie 568 schließlich von den aus Osten kommenden Langobarden besetzt wurden. Diesen gelang es allerdings nicht die hier gesprochene Sprache zu ändern. Im Gegenteil, sie wurden selber vom „archaischen Ladinisch“ assimiliert, das im gesamten Alpenraum gesprochen wurde. 100 Jahre später etwa drangen aus Norden die Bajuwaren in den Alpenraum vor und ließen sich in der Schweiz und im Vinschgau nieder. Die Langobarden zogen sich daraufhin ins Fleimstal, ins Cadore und natürlich auch in unser Tal zurück. Ab 592 n. Chr. besetzten die Bajuwaren das Eisack- und das Pustertal und bezeichneten die ladinischen Völker als „Walsche“. So werden auch heute noch die Ladiner zum Teil genannt („Krautwalsche“). Die Bajuwaren blieben in den Tälern, arbeiteten auf dem Feld und bewirtschafteten die Höfe. Die römischen Legionen und die Langobarden waren weniger gut organisiert als früher, sodass es für die Bajuwaren ein Leichtes war die wichtigsten Täler einzunehmen; die Ladiner wurden so in die kleineren Täler, wie den Vinschgau oder die Dolomitentäler, zurückgedrängt.

Von 592 bis um das Jahr 1000 wurde Südtirol dann immer wieder von Völkern aus dem Norden belagert: Alemannen und Bajuwaren. Das war zur Zeit Karls des Großen (768-814 n. Chr.), der 800 vom Papst zum Kaiser gekrönt und damit beauftragt worden war das christliche Europa vor den Moslems zu verteidigen. Unter Kaiser Karl wurde ganz Europa in Grafschaften eingeteilt, die im Namen der Herrscher die Steuern einzogen und die Justiz verwalteten. Als Otto I 952 n. Chr. das Heilige Römische Reich Deutscher Nation gründete und die Zentralalpen belagerte, zwang er die gesamte Bevölkerung deutsch zu sprechen. Dies war auch einer der Gründe, warum sich die ladinische Sprache nur in den Tälern erhalten konnte. Erstmals schriftlich erwähnt wurde Gröden 999 in einem Dokument, in dem der bayerische Graf Otto von Andechs (der sich vor dem Weltuntergang fürchtete) dem Bischof von Freising zusammen mit anderen Ländereien auch den Wald „Forestum ad Gredine“ überließ. Später fiel unser Gebiet an Bischof Ulrich von Augsburg. Unterlagen kann man entnehmen, dass Gröden bis 1000 n. Chr. vorwiegend aus Wald bestand.
Die Besiedlung von Wolkenstein ergab sich erst im Laufe mehrerer Jahrhunderte: Es wurden zunächst die sonnigen und weniger steilen Hänge besiedelt. Die Tatsache, dass man Getreide (Gerste, Weizen und Hafer) anbauen wollte, beeinflusste die Wahl der Standorte, wo die Häuser gebaut werden sollten. Die geologische Struktur des Ortes zeigt dies noch heute ganz klar. Dort, wo das Gelände zu steil und zu schattig war, um Getreide anzubauen, ist noch heute Waldgebiet. Erst später, mit der Viehhaltung, werden die Anbauflächen weiter nach oben verlegt: Wald wurde gerodet und es wurden Weideflächen und Almwiesen gewonnen. Die ersten Höfe in Wolkenstein wurden im 13. Jh. erwähnt, und zwar: Ruveis (Dorives), Cavelun (Ciablon), Caphedepont (Cëdepuent) und Plan. Sie alle waren in Besitz des Grafen Mainhard.
Vor 1300 zählte man in Wolkenstein insgesamt 13 Höfe, und Randolf von Villanders (der 1293 von den Schlossherren Rupert, Fritz und Ulrich das Schloss im Langental sowie die anliegenden Weideflächen erhalten hatte) erlaubte weitere Waldrodungen, damit sieben zusätzliche Bauernhöfe gebaut werden konnten. Diese Entscheidung stieß bei den Bewohnern der bereits bestehenden Höfe auf heftigen Widerstand, da ihnen dadurch Weideland und Brennholz verloren gingen, zwei lebenswichtige Ressourcen für den Bauern. Die Einigung Tirols wurde durch Mainhard II (1258-1295) abgeschlossen, der den Bischöfen die Herrschaft wieder nahm. Wolkenstein gehörte zunächst zur Grafschaft und dem Gericht von Gufidaun, bevor es von der Familie von Wolkenstein eingenommen wurde, die auch über Kolfuschg herrschte. 1363 fiel die Grafschaft von Tirol unter die Herrschaft der Habsburger und wurde dadurch österreichisch. Die Gegend um den Cadore hingegen kam zu Venetien. Daran änderte sich bis zum Ausbruch der Napoleonischen Kriege Ende des 18. Jahrhunderts nichts.

Im 14. Jh. wurde Wolkenstein von vielen Katastrophen heimgesucht. In den Jahren 1338, 1340 und 1341 kam es zu Heuschreckenplagen, die große Hungersnot zur Folge hatten. 1348 erschütterte ein großes Erdbeben die gesamten Ostalpen und 1348/49 brach die Pest aus. 1636, während des Dreißigjährigen Krieges, brach die Pest ein weiteres Mal aus. Davon war unser Tal allerdings weniger betroffen, da die Bevölkerung eher zurückgezogen lebte und nur wenig Kontakt zu den Städten hatte. Im 14. Jh. erstmals erwähnt werden die Höfe Pramazachan (Maciaconi), Tschieza (Tieja), Gutun (Guton), Plazoles (Plazola), Larschyneid (Larciunëi), Ruschalday (Rustlea), Fratthof (Frata) und Golsell (Curijel).
Im 15. Jh. wurde in Wolkenstein sehr viel gebaut: Es wurden 20 Bauernhöfe errichtet sowie die erste Kapelle auf den Niveswiesen (1503). Allein in den Ortsteilen Ruacia und Dorives wurden zehn Höfe gebaut. Ebenfalls in dieser Zeit wurden den Bauern die ersten politischen Rechte zugesprochen sowie eine Vertretung im Tiroler Landtag, sodass sie von den Grundbesitzern nicht mehr problemlos „ausgetauscht“ werden konnten. In diesem Jahrhundert wurde außerdem das Erbfolgerecht anerkannt. Von 1500 bis 1700 kamen in Wolkenstein noch weitere Höfe dazu, und 1780 zählte man im Ort insgesamt 93 Bauernhöfe. Die Tiroler Freiheitskämpfe, Anfang des 19. Jahrhunderts, bekam man in Wolkenstein nur wenig zu spüren. 1809, während des Krieges zwischen Tirol, den Bayern und Frankreich, kam ein Bataillon mit 1.200 napoleonischen Soldaten (angeführt von General Peyri) über Livinallongo, Corvara und das Grödner Joch bis nach Plan und schlug hier seine Zelte auf. Im „Calënder de Gherdëina“ 1948 findet man ein Schreiben des Kapuzinerpaters Fedele Demetz (Solech) aus dem Jahr 1897, mit folgendem Inhalt: „Der schönste Ort überhaupt ist Wolkenstein. Sobald man Rustlea erreicht (die alte Grödner Straße führte über Col da Rainel und Rustlea ins Dorfzentrum), sieht man die Niveswiesen, in der Mitte die Kirche und daneben die Schule. Weiters viele kleine Häuser und ein großes, schönes Haus – das Gasthaus Post zum Hirschen. Auf einer Seite sieht man die schönen Wälder, auf der anderen Seite die Hügel und Wiesen des Daunëi. Und dann natürlich die schönen Berge: der Sellastock rechts und Stevia und Puez links, die wie Festungen das Tal vor den Bewohnern der Nachbartäler schützen.“ Pater Fedele schreibt weiter: „Ich, der selber Wolkensteiner bin, kann Gott sei Dank über Wolkenstein und seine Einwohner schreiben“ … „wer mehr darüber wissen möchte, sollte das Buch von Franzl Moroder da Lenert lesen, das in Deutsch geschrieben wurde. Diese Sprache verstehen allerdings nur wenige Grödner.“ Laut Pater Fedele gab es 1897 in Wolkenstein 156 Häuser und an die 1.000 Einwohner. Pater Fedele versucht auch die Herkunft des Namens Wolkenstein zu erklären und behauptet, dass der Name „Selva“ (ladinische und italienische Bezeichnung für Wolkenstein) aus dem Lateinischen „silva“ (großer, dichter Wald) stamme. Er fügt außerdem hinzu, dass man etwa 100 Jahre vorher nur schwer von Rustlea bis zur Kapelle sehen konnte, da der Wald auf den Niveswiesen so dicht war.
Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts kamen im Sommer Gäste nach Wolkenstein, der guten Luft und des frischen Wassers wegen, aber auch wegen der guten Laune der Einheimischen. Wolkenstein wurde früher auch S. Maria genannt, da die Kirche der Muttergottes Maria Hilf geweiht war (und heute noch ist). Sehr interessant ist das Kapitel über die in Wolkenstein gesprochene Sprache. Pater Fedele behauptet hier, dass sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts jener Teil der Bevölkerung, der älter als 40 war, ausschließlich in Ladinisch verständigte. Die Jüngeren hingegen konnten sich auch in Deutsch ausdrücken, da sie mit den Gästen immer wieder diese Sprache sprechen mussten. Um 1870 begann man in der Schule auch in deutscher Sprache zu schreiben. Davor wurde nur in Italienisch unterrichtet; das Rechnen wurde in Ladinisch gelehrt. Auch im 19. Jh. machte man schwierige Zeiten durch: Aufgrund äußerst kalter klimatischer Bedingungen (der Sommer blieb aus, was auf den Vulkanausbruch in Tambora/Indonesien zurückzuführen war), kam es 1816 zu einer großen Hungersnot; 1882 und 1886 folgten große Überschwemmungen. Bis 1914 blieb Wolkenstein von den Geschehnissen des Krieges weitgehend verschont. Die großen Völkerwanderungen aus dem Norden Richtung Süden zogen nicht durch unser Tal, da es militärisch und wirtschaftlich gesehen uninteressant war.