Wolkenstein im Laufe
der Jahrhunderte

Wolkenstein 1914-1945

Historisch-politische Entwicklung in Südtirol

Sëlva da Burdengëia ju.
Bera Arcangiul Lardschneider de Ciampac (1886-1950) cun n saudé.

Südtirol war zwar von den Alliierten 1915 im geheimen Londoner Vertrag den Italienern versprochen worden (was dann im Vertrag von St. Germain 1919 auch geschah), gleichwohl wollte Italien aber Südtirol legitimiert wissen. So lieferten die österreichischen Volkszählungen, wonach wegen der fehlenden Schriftsprache und der fehlenden Amtssprache die Ladiner zu den Italienern gezählt wurden, den Italienern geradezu den Beweis für die Gemischtsprachigkeit Südtirols und damit eine zusätzliche Legitimation für den Zugewinn dieses Landes. Die Zurechnung der Ladiner zu den Italienern erleichterte es den Vertretern des italienischen Nationalismus, die Ladiner für sich zu vereinnahmen und mit ihnen auch die Deutsch sprechenden Südtiroler.
1922 kam in Italien der Faschismus an die Macht, und Ettore Tolomei gab mit seinem 32-Punkte-Programm den Start für die Entnationalisierung bzw. Italienisierung Südtirols. Einer ersten Phase kultureller Unterdrückung folgte eine zweite Phase wirtschaftlicher Unterdrückung. Den Südtirolern blieb fast nur noch die Flucht in irgendeine „Privatsphäre“. Michael Gamper und seine „Katakombenschule“ wurden zum Symbol des Südtiroler Widerstandes. Die faschistische Politik begann 1923 die Südtiroler durch eine Einheitsprovinz Trient-Bozen in die Minderheit zu drängen. 1927 sollte zwecks „Sonderbehandlung“ wieder die Provinz Bozen hergestellt werden. In dieser Situation der staatlichen Unterdrückungspolitik begann für die Südtiroler, nachdem die Heimat unwirtlich zu werden schien, ein zweiter Entheimatungsprozess, nämlich „die Umpolung und Veränderung des eigenen Identitätsbewusstseins von der kleinen Heimat, von Tirol, vom Vaterland Österreich hin in Richtung Mutter Germania, zu Großdeutschland“. Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 wurde der „Völkische Kampfring Südtirols“ (VKS) gegründet, eine parteiähnliche Organisation, die eine streng hierarchische, nach dem Führerprinzip aufgebaute Gliederung vorsah. Ihre Kernaussagen orientierten sich am Programm der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Es ging um die „Durchdringung des Südtiroler Volkes mit der nationalsozialistischen Weltanschauung“, wie es hieß. Mit dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 schien es nur mehr eine Frage der Zeit bis der „Führer“ auch Südtirol „heim ins Reich“ holen würde. So wie die illegalen Nazis in Österreich triumphiert hatten, so würden bald auch die illegalen Nazis in Südtirol triumphieren. Angesichts der fortschreitenden Revision der Friedensbestimmungen durch Hitler und besonders durch den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich wurde das Südtirolproblem immer mehr zu einem wirklichen Störfaktor zwischen Italien und Deutschland. Das Tagebuch des italienischen Außenministers Ciano spricht eine klare Sprache: „Italien verlangt von Deutschland die Sicherung der Brennergrenze, und weil man Berge und Flüsse nicht versetzen kann, muss man eben die Menschen versetzen“. So kam es im Jahr 1939 zu einem radikalen Projekt, dem „Optionsabkommen“.
Die tatsächlich unwirtlich gewordene Heimat war ausschlaggebend dafür, dass 1939 so viele Südtiroler bereit waren für das Deutsche Reich zu optieren. Gleich nach der Bekanntgabe der Option spaltete sich das Südtiroler Volk in „Geher“ und „Dableiber“. Diese standen sich nun in Hass und Streit gegenüber. Jeder Südtiroler stand vor der „bitteren Alternative, entweder durch Dableiben dem Volkstum oder durch Gehen der Heimat untreu zu werden, ins Deutsche Reich zu übersiedeln oder in der zunehmend italienisch werdenden Heimat zu bleiben“. (Rolf Steininger)
Nach dem Sturz Mussolinis und dem Übertritt Italiens zu den Alliierten, besetzten deutsche Truppen Italien. In Südtirol war eine größere Begeisterung zu verzeichnen, weil sich ab diesem Moment die Hoffnung auf Befreiung vom italienischen Faschismus vergrößerte, die Option und Umsiedlung hinfällig würden und die Hoffnung auf einen „Anschluss“ an das Deutsche Reich wiederkehrte. Staatsrechtlich blieb Südtirol bei Italien, obgleich Hitler eine Art „De-Facto-Annexion“ Südtirols an Deutschland erreichte: Die „Operationszone Alpenvorland“ umfasste die drei Provinzen Bozen, Trient und Belluno. Als oberste zivile Organe wurden Kommissare eingesetzt, deren oberster Kommissar Franz Hofer als Gauleiter von Vorarlberg-Tirol wirkte. Schnell wurden sogenannte „Sondergerichte“ eingerichtet, um die Verfolgung Krimineller und Andersdenkender zu ermöglichen. Auf lokaler Ebene trieben die „SOD-Einheiten“ (Südtiroler Ordnungsdienst) eine verstärkte Germanisierung voran. Diese führte vor allem in den ladinischen Tälern zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen „Dableibern“ und „Gehern“. Mit Polizeigewalt zwangen die „Geher“ die „Dableiber“ für Deutschland in den Krieg zu ziehen. Die Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls war einer der Hauptanklagepunkte der nationalsozialistischen Sondergerichte in der Operationszone Alpenvorland. Unter der Minderheit der Südtiroler „Dableiber“ versuchten vor allem viele Priester und politisch engagierte Katholiken der Propaganda und den Zwangsmaßnahmen des NS-Regimes gegenüber Widerstand zu leisten, um die „Dableiber“ vor Übergriffen der Deutschland-Optanten zu schützen. Noch 1939 wurde der Südtiroler Andreas-Hofer-Bund gegründet, der wiederholt Deserteure unterstützte und Kontakte mit den Alliierten und Partisanengruppen hielt. (vgl. Gerald Steinacher, Südtirol im Dritten Reich … )
Nach 1945 blieb Südtirol kurze Zeit unter amerikanischer Kontrolle, und im Herbst 1945 fiel die Entscheidung der Alliierten, die im Frühjahr 1946 bestätigt wurde, den Südtirolern die Selbstbestimmung  zu verwehren und  bei Italien zu belassen, dafür aber die Autonomie zu gewähren. Die überwiegende Mehrheit der Südtiroler Deutschland-Optanten blieb durch ihren Status einer „ungeklärten Staatszugehörigkeit“ vom Schicksal der Vertreibung durch die alliierte Präsenz verschont. Dieses „Glück“ erweiterte sich durch das sog. „Optanten-Dekret“. Das Optionsabkommen zwischen Mussolini und Hitler wurde annulliert und in das Gruber-Degasperi-Abkommen am 6.9.1946 aufgenommen. Die im Pariser Abkommen zwischen Italien und Österreich vereinbarte Autonomie erhält als Bestandteil des Friedenstextes internationalen Charakter und gilt für alle Südtiroler, auch wenn die Ladiner im Abkommen von Paris nicht eigens genannt und nicht berücksichtigt werden.

Dolomitenladinien und Wolkenstein im Krieg
Die 1920er und 1930er Jahre
Nachdem Italien wegen der geforderten Brennergrenze Österreich den Krieg erklärt hatte, wurde Südtirol Kampfgebiet: Die Frontlinie verlief mitten durch das ladinische Gebiet: Buchenstein, Ampezzo, Pordoi, Campolongo und Falzarego, Col di Lana, Lagazuoi und Marmolata. Die gegen Norden hin auslaufenden ladinischen Täler Gröden und Gadertal auf österreichischer Seite und die gegen Süden auslaufenden ladinischen Täler Fassa und Buchenstein auf italienischer Seite. Wolkenstein verzeichnet aus dem Ersten Weltkrieg 34 Gefallene und Vermisste. Im Friedensvertrag nach dem Ersten Weltkrieg erhielt Italien die seit jeher geforderte Brennergrenze und damit Südtirol und das Gebiet der Dolomitenladiner. Das ladinische Gebiet in Südtirol wurde nach dem Ersten Weltkrieg 1921 mit der „lex Corbino“ zum ersten Angriffspunkt einer nationalistischen Politik. Dieses Gesetz beinhaltete die Verpflichtung der italienischen Familien ihre Kinder in italienische Schulen zu schicken, und da die Ladiner als Italiener galten, begann für sie 1921, wie für die deutsche Bevölkerung Südtirols 1923 mit der „lex Gentile“, der Entnationalisierungsprozess mit der Italienisierung der Schulen. Ebenfalls 1923 wurden die Ladiner auf drei Provinzen aufgeteilt: „stroncare la mistificazione ladina“ nannte Tolomei seine Ladinienpolitik. Der Begriff „Ladinien“ sollte eliminiert werden. Ladinien bleibt verwaltungspolitisch dreigeteilt, nämlich auf zwei Regionen und auf drei Provinzen: Buchenstein und Ampezzo in der Provinz Belluno, das Fassatal in der Provinz Trient und das Gadertal und das Grödnertal in der Provinz Bozen.
Die ladinische Teilung und der faschistische Druck führte die Deutschen und Ladiner, speziell die Grödner, politisch noch mehr zusammen. So wirkten sich die politische Maßnahme der Dreiteilung Ladiniens und die politische Entwicklung einer ladinisch-deutschen Solidarität auf das Optionsabkommen aus. Auf italienischer Seite wurde Ladinien erst nach Widerständen ins Optionsabkommen aufgenommen. Sollte man die Ladiner, die als Italiener galten, zur Option nicht zulassen? Oder sollte man die Ladiner, als „turbulenteste
Pangermanisten“ (wie sie von italienischen Stellen bezeichnet wurden) zur Option sehr wohl zulassen? Tolomei sprach jedenfalls bei der Zulassung der Ladiner zur Option von einem „unverzeihlichen Fehler historischen Ausmaßes“. Die Zulassung der Ladiner zur Option hätte die Legitimation der Brennergrenze wieder geschwächt und deshalb schwieriger gemacht. So kam es, dass das Fassatal in der Provinz Trient zur Option nicht zugelassen wurde. In Cortina d‘Ampezzo, in der Provinz Belluno, wurde die Option durch italienische Kreise um Tolomei verhindert, und im Grödnertal, im Gadertal und in Buchenstein waren die Optionsergebnisse äußerst unterschiedlich: Im Gadertal optierten 36% für das Deutsche Reich, ähnlich war die Situation in Buchenstein. Im Grödnertal optierten 80% für das Deutsche Reich. Damit lag Gröden als einziges ladinisches Tal im Südtiroler Durchschnitt.
Auf der Seite des nationalsozialistischen Deutschlands gab es neben dem volkstumspolitischen Aspekt einen zweiten, wirtschaftlichen Aspekt für die Zulassung der Ladiner zur Option. Die entsprechenden Südtiroler Stellen bekamen aus Berlin die Anweisung, die Luserner als Bauarbeiter in den Gau Kärnten, nach Lienz, kommen zu lassen, um Wohnhäuser für die Grödner, die später nachkommen sollten, zu bauen. Das „Reichskommissariat für die Festigung des deutschen Volkstums“ wies auf die „besondere Dringlichkeit dieser Aktion hin, die mit der Umsiedlung der Grödner in engem Zusammenhang steht“. In Berlin bestand ein besonders starkes Interesse, die Grödner schnellstens umzusiedeln. Damit wurden die Grödner als Versuchskaninchen einer „geschlossenen Wiederansiedlung“ ausersehen. Ausschlaggebend für diesen Sonderstatus und für diese Sonderpolitik waren der relativ geschlossene Siedlungsraum des Grödnertales sowie die Holzschnitzerei, die nur in ihrer Geschlossenheit Bestand haben würde. Am Beispiel der letzten Novemberwoche des Jahres 1939 meldete die Gemeinde Wolkenstein das folgende Optionsergebnis: Sieben Erklärungen für die Beibehaltung der italienischen Staatsbürgerschaft für neun Angehörige und 17 Erklärungen für die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft für 46 Angehörige. Am 1. Jänner 1940 stand das Optionsergebnis von Wolkenstein fest, und am 2. Jänner 1940 meldete der Präfekt das offizielle Optionsergebnis der Gemeinde.
Die Umsiedlung der Grödner sollte ein Musterbeispiel nationalsozialistischer Siedlungs- und Volkstumspolitik werden. Diese nochmalige Zerreißung Ladiniens war Programm und schien auch gewünscht und gefordert zu sein. Dazu kam es allerdings nicht. Der weitere Verlauf des Zweiten Weltkrieges unterbrach das „Projekt“ Option. Die Anzahl der aus dem Grödnertal tatsächlich Abgewanderten betrug ca. 1.500 Personen und entsprach damit dem Südtiroler Durchschnitt (ein Drittel derjenigen, die für das Dritte Reich optiert hatten). So war die Zeit gegen Ende des Zweiten Weltkrieges neben all dem anderen menschlichen Leid, vor allem auch durch ständig wechselnde Machtverhältnisse und durch eine ungewisse Zukunft gekennzeichnet. In Gröden und Wolkenstein kam zwischen den „Dableibern“ und den „Gehern“ noch eine „bürgerkriegsähnliche Situation“ hinzu, die wiederum Krieg und Gefangenschaft nach sich zog. Wolkenstein verzeichnet aus dem Zweiten Weltkrieg 48 Gefallene und Vermisste.

Der Konflikt im Grödnertal im Mai 1945
Es würde zu weit führen auf die politische Situation in Südtirol in den Jahren 1943 bis 1945 einzugehen, als nämlich das Land dem Dritten Reich „angeschlossen“ war. Ein besonderer Einzelfall sei hier kurz beleuchtet.
In Gröden wurden im Rahmen einer „wilden Säuberung“ und einer blutigen Abrechnung im Mai 1945 fünf führende Deutschland-Optanten aus dem Schlaf gerissen und entführt. Sie wurden auf brutalste Weise im Wald von Pescol an der Forcella Staulanza gefoltert und ermordet. Nur dem Einsatz der amerikanischen Militärbesatzung war es zu verdanken, dass rund 50 weitere Grödner Bürger vom selben Schicksal verschont blieben. Die Option hatte die Bevölkerung in Gröden noch mehr entzweit als in der restlichen Provinz Bozen. Der Zusammenhalt der Grödner Talgemeinschaft wurde sowohl von den Grödnern selbst als auch von den nationalsozialistischen Stellen gefordert und verlangt. Dadurch spitzten sich die Gewissensnöte und Differenzen zwischen „Deutschland-Optanten“ und „Heimat-Treuen“ noch mehr zu als im restlichen Südtirol. Nach dem 8. September 1943, dem Zeitpunkt des italienischen Waffenstillstands mit den Alliierten und der deutschen Besetzung Italiens und Südtirols, bewies die Grödner „Volksgruppenführung“ große Härte gegenüber den „Dableibern“. Manche „Deutschland-Optanten“ organisierten sich als „Volksgruppenführer“ im polizeiähnlichen und nationalsozialistischen „Sicherungs- und Ordnungsdienst“. Eines der wichtigsten Drangsalierungsinstrumente gegen die „Dableiber“ war die willkürliche Einberufung ins deutsche Militär. Dies kam einem Todesurteil gleich, bedeutete es doch Kriegseinsatz und Gefangenschaft. Gerade in Gröden traf es vor allem die „unangenehme“ Minderheit der „Dableiber“, die jetzt den „Gehern“ ausgeliefert waren und ins Deutsche Reich „gehen“ mussten.
Hält man sich die Situation im Grödnertal ab 1943 vor Augen, so werden die Gründe für den Vorfall vom Mai 1945 nachvollziehbar. Das Massaker von Gröden ist in seiner Art einmalig und Südtirolweit ein Einzelfall, der zeigt, wie sich der Hass zwischen denjenigen, die sich für die Heimat entschieden hatten und den Deutschland-Optanten zugespitzt hatte.

Nationalsozialistische Fluchtwege nach Wolkenstein
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Südtirol für viele Nazifunktionäre und ihre Familien zu einem letzten Aufenthaltsort, bevor sie nach Übersee flüchteten. Obwohl sich die Menschen im Deutschen Reich noch einer letzten Forderung nach dem „Totalen Krieg“ beugten, löste sich das Dritte Reich allmählich auf, bis die amerikanischen und sowjetischen Soldaten die Hauptstadt Berlin einnahmen. Alliierte Besatzungen und Geheimdienste drängten auf eine schnelle Verhaftung und Bestrafung der Nationalsozialisten. Wolkenstein galt auch als Hochburg für geflüchtete Angehörige von Nationalsozialisten, die nur noch danach trachteten, schnellstens alle Spuren des Schreckens zu beseitigen und zusätzlich neue Identitäten zu organisieren und anzunehmen. Lange galt die Geheimorganisation „Odessa“ (Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen) als ein allmächtiges Erklärungsmuster für eine groß angelegte NS-Flucht, bis neue wissenschaftliche Erkenntnisse (vgl. Gerald Steinacher, Nazis auf der Flucht …) ein ganzes „Räderwerk“ der Flucht rekonstruierten. Dieses bestand aus einem komplexen Geflecht von Einzelpersonen, Institutionen wie Kirche und Internationales Rotes Kreuz sowie Staaten. Innerhalb dieses Geflechtes gelang es vielen Kriegsverbrechern durch ihre SS-Kameradenkreise die Fluchtrouten über Italien, meist Südtirol, Rom und die Seehäfen nach Übersee zu finden und zu bestimmen.
Im April 1945 konnte Gerda Bormann, die Ehefrau des „Hitler-Sekretärs“ Martin Bormann, von der Sommerresidenz des Führers in Obersalzberg den alliierten Fliegerangriffen entkommen und mit acht Kindern über Innsbruck nach Südtirol fliehen. Sie fand in St. Christina ihr erstes Ausweichquartier. Dieses wurde aber bei ihrer Ankunft von einer Wehrmachtsdienststelle besetzt. Für Gerda Bormann, jetzt „Bergmann“, fand sich ein schönes Haus in Wolkenstein, in dem auch ein Kinderheim untergebracht war. „Zum Glück“, so schreibt Martin Bormann Jun., denn Margarethe Boden Himmler, die Frau des Reichsführers und SS-Polizei-Chefs Heinrich Himmler, die mit ihrer Tochter ebenfalls in Wolkenstein (in der“Casa al Monte”) wohnte, wurde nach dem Einmarsch der Alliierten verhaftet und zunächst nach Bozen, Verona, Florenz und Rom gebracht, bevor sie aus dem Gefängnis von Nürnberg entlassen und in ein Pflegeheim gebracht wurde. Sehr wahrscheinlich kam auch Heinrich Himmler persönlich zu Besuch nach Wolkenstein, wo sich im Hotel Oswald noch im Jahre 1944 rund 80 Generäle versammelten, um letzte Kriegspläne zu schmieden. Kurz nach ihrer Ankunft erkrankte Gerda Bormann, kam ins Bozner Krankenhaus und im Oktober 1945 dann, auf Betreiben der englischen Besatzungsmacht, ins Meraner Kriegslazarett. Ihre Kinder blieben in der Obhut verschiedener Vertrauenspersonen. Der kleine Helmuth Bormann besuchte im Schuljahr 1945/46 die vierte Klasse der Volksschule Wolkenstein. Er wohnte in der Villa Stevia. Auch zwei weitere Bormann-Kinder gingen in Wolkenstein zur Schule, dem Religionsunterricht blieben sie allerdings fern, was die Schulfreunde sehr wunderte. Insgesamt gab es nur wenige Informationen über die Familie Bergmann bzw. Bormann. Martin Bormann Jun. ging ins Höttinger Kloster, anschließend in die Mission nach Kongo und wurde 1958 in Innsbruck zum Priester geweiht. Vom Schicksal ihres Mannes wusste Gerda nichts. „Ausbruchsversuch“ lautete die letzte Eintragung Martin Bormanns in seinem Tagebuch im Mai 1945 im Berliner „Führerbunker“. Dann verlor sich seine Spur. Zu dieser Zeit lag seine Frau bereits schwerkrank im Meraner Krankenhaus. An ihrer Tür war die Aufschrift zu lesen: „Eintritt verboten“. Der katholische Priester Theodor Schmitz bekam mit dem Sohn Martin Bormann Jun. Zutritt. In dieser Begegnung erfuhr er vom Aufenthalt der anderen Kinder in Wolkenstein. Da ihn die Mutter darum gebeten hatte, fuhr er immer wieder nach Wolkenstein, um für „das persönliche und wirtschaftliche Wohl“ der Kinder zu sorgen. Im März 1946 verstarb Gerda Bormann. Ein halbes Jahr vorher, im Oktober 1946, wurde Martin Bormann in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Seine Leiche wurde erst 1972 in Berlin entdeckt.

Das Schulwesen: Rufach und Wolkenstein
Das Optionsabkommen von 1939 wirkte sich auch auf die Schule aus. Die Richtlinien für die Ab- und Rückwanderung der „Volksdeutschen“ aus Südtirol ins Deutsche Reich sahen vor, dass es nur den Eltern, die für Deutschland optiert hatten, erlaubt war, ihre Kinder an einem zugelassenen Privatunterricht in deutscher Sprache teilnehmen zu lassen. Der Leiter der „amtlichen deutschen Ein- und Rückwanderstelle“ (ADERST) SS-Obersturmleiter Wilhelm Luig und der italienische Schulamtsleiter Armando Frattini vereinbarten im Jänner 1940 die Einrichtung deutscher Sprachkurse. Diese Kurse waren ausschließlich den „Optantenkindern“ vorbehalten, und sie waren als reiner Sprachunterricht definiert. Organisation und didaktische Planung wurden der „Arbeitsgemeinschaft der Optanten für Deutschland“ (ADO) bzw. dem „Volksgruppenführer“ Peter Hofer übertragen. Die Ansprüche dieser Schule mussten reduziert bleiben: „flüssiges, verständiges Lesen, gutes Erzählen … hinreichende Kenntnisse in der Rechtschreibung und der hierfür nötigen Wort- und Satzlehre, hinlänglicher Aufsatz“. Wichtiger waren die Freude am Umgang mit Kindern und der Wille „sich mit aufopfernder Arbeit in den Dienst der Volksgemeinschaft zu stellen“. Im März 1940 konnten bereits 288 Schulstellen mit 465 Lehrkräften eröffnet werden. Die Bevölkerung hatte durchaus das Gefühl, innerhalb des italienischen Staates und der faschistischen Politik eine eigene Schule zu haben.
Höhere Schulen blieben den Südtirolern verwehrt. Schulleitungen konnten nur begabteren Südtiroler Schülern eine Ausbildung im „Dritten Reich“ ermöglichen. Im Sommer 1940 wurden 430 junge Südtiroler in ein Auswahllager auf der Seiser Alm zugelassen. Von diesen wurden 324 als geeignet befunden und durften die Lehrerbildungsanstalten in Innsbruck, Feldkirch, Salzburg, Klagenfurt, Wels und Graz besuchen. Die andere Möglichkeit bestand darin, sich für die „Oberschulen für Volksdeutsche“ in Rufach und Achern zu bewerben. Diese Schulen unterstanden unmittelbar dem „Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“ und umfassten verschiedene Schultypen: Mittelschule, Hauptschule und Oberschule. 1941 waren 470 Südtiroler in Rufach und 223 Südtirolerinnen in Achern eingeschrieben. 1942 besuchten 1.400 Südtiroler im Deutschen Reich eine höhere Schule. Im ersten „Transport“ im Oktober 1940 nach Rufach befanden sich auch einige Schüler aus Wolkenstein.
Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Italien im Herbst 1943 und nach der Einrichtung der „Operationszone Alpenvorland“, die die Provinzen Bozen, Trient und Belluno umfasste, übernahm der Tiroler Gauleiter Franz Hofer als oberster Kommissar die Zivilverwaltung. In diesem politisch neuen Rahmen wurde auch die Südtiroler Schule „befreit“. Im Schulamt sah man die Lage so: „Wir haben nicht mehr deutsche Sprachkurse, sondern eine deutsche Volksschule“. Mit der Umkehrung der Machtverhältnisse wurden die Sprachkurse für die gesamte deutsche und ladinische Bevölkerung zur Regelschule. Egal, ob „Optantenkinder“ oder „Dableiberkinder“, die deutsche Schule war für alle verpflichtend, Deutsche und Ladiner. Weil höhere Schulen in Südtirol fehlten, sahen sich die Eltern vor allem nach dem September 1943 verstärkt veranlasst, um solche anzusuchen. Eine erste schwierige Frage war jene nach der Unterbringung der Schüler. Dazu bot sich eher das Land an als die Stadt Bozen, die vom Krieg zu sehr heimgesucht wurde. Man hatte an Hotels gedacht, die noch nicht durch Lazarette ersetzt worden waren. Die Planungen bezogen sich zunächst auf zwei Orte: Meran und Gröden. In Wolkenstein sollte eine Oberschule für Mädchen mit fast 100 Plätzen entstehen. Eine weitere Oberschule für Jungen sollte in Toblach eingerichtet werden, aber aus verschiedenen Gründen wurde die Oberschule nach Brixen ins Vinzentinum verlegt. Der geregelte Unterricht erwies sich als schwierig, zunehmende Fliegeralarme zwangen Lehrer und Schüler immer wieder in Luftschutzräume. Zu Allerheiligen des Jahres 1944 übersiedelte die Schule über Klausen nach Gröden, wo der Unterricht in Wolkenstein in den Hotels Oswald, Mondschein und Post abgehalten wurde. In Wolkenstein kamen unter der Leitung des Innsbrucker Direktors Rudolf Grüner etwa 200 Oberschüler und zwölf Lehrer zusammen. Die beiden Hotels Grisi (Wolkenstein) und Maciaconi fungierten als Oberschule für 80 Mädchen und sieben Lehrpersonen. Ende April des Jahres 1945 kam es aufgrund der Kriegsereignisse zur Umfunktionierung der Schulgebäude zu Lazaretten und zur Schließung aller Schulen. Die Oberschule in Wolkenstein war in den ersten Maitagen des Jahres 1945 leer, Schulleitung und Lehrkräfte verließen das Schulhaus.