Die Grödner Bahn
Über die Grödner Bahn wurden im Laufe der Jahre zahlreiche Gedichte und Lieder geschrieben, es wurden Zeitungsartikel verfasst und 1992 ist auch ein Buch erschienen, in dem die Autorin Elfriede Perathoner aus St. Ulrich ausgiebig über die Geschichte des „Grödner Bahnls“ (wie die Eisenbahn noch heute liebevoll genannt wird) berichtet. In unserer Dorfchronik werden wir daher nur auf die wichtigsten Daten und Ereignisse der Grödner Bahn eingehen. In Europa begann die Geschichte der Eisenbahn im Jahre 1814 mit dem Bau der ersten Dampflokomotive zwischen Darlington und Stockton (England) durch Ingenieur George Stephenson. In Österreich hielt die erste Eisenbahn erst 20 Jahre später Einzug. Die Südbahn zwischen Bozen und Verona wurde 1859 eröffnet, die Verbindung zwischen Innsbruck und Bozen sogar erst 1867. Auf die Einführung dieses neuen Verkehrsmittels war auch der touristische Aufschwung in den Alpen zurückzuführen. Gleichzeitig war der Verkehr von der Straße auf die Schiene verlegt worden. Für Pferde- und Gasthausbesitzer bedeutete der Bau der Brennerbahnlinie zunächst einen großen Verlust, in den Folgejahren stieg dann aber die Zahl der Reisenden stark an, sodass sich dies positiv auf die Beherbergungsbetriebe, den Handel und das Handwerk auswirkte. Die Breite der Gleise betrug normalerweise 1.435 mm. Um die steilen Aufstiege in den Alpentälern bezwingen zu können, wurde die Breite jedoch auf 1.000 mm („Schmalspurbahn“) und später sogar auf 760 mm reduziert. Auch bei der Grödner Bahn maß die Breite der Gleise 760 mm. Der Gedanke an den Bau einer Eisenbahn durch das Grödnertal war bereits um 1900 aufgekommen, da sich der Transport von Holzschnitzereien und vor allem Altären auf der engen Straße nach Waidbruck als sehr mühselig, kostspielig und unbequem erwiesen hatte. Außerdem wurde für die Durchfahrt eine Maut verlangt. Eine teure Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass Ende des 19. Jahrhunderts jährlich an die 2.000 bis 3.000 Wagons mit Holzschnitzereien aus Gröden exportiert wurden. 1905 war sogar ein Komitee zum Bau einer Grödner Bahn gegründet worden, das „Grödner Bahnkomitee“, dem der Bürgermeister von St. Ulrich Josef Rifesser vorstand. Der Bau der Eisenbahn sollte durch den Verkauf von Aktien an private Interessenten finanziert werden. Eine sehr moderne Idee, wenn man bedenkt, wie schwierig es auch heute noch ist die Bevölkerung für Großprojekte zu begeistern. In einer vom selben Rifesser durchgeführten Studie wurde die dringende Notwendigkeit einer Eisenbahn aufgezeigt. Schwarz auf weiß wurde belegt, welch große wirtschaftliche Bedeutung eine solche Einrichtung für Gröden und insbesondere für St. Ulrich hätte. Gab es doch hier an die 220 Bildhauer, die Skulpturen und Altäre anfertigten. Der aufstrebende Fremdenverkehr versprach zudem Wohlstand und Arbeit. Josef Rifesser war es sogar gelungen für die Finanzierung der Eisenbahn eine Million Kronen aufzutreiben. Es wurden zahlreiche Ideen gesammelt. Einige davon waren sogar äußerst originell, man würde diese aber auch heute noch als utopisch ansehen. Aufgrund der Verschiedenheit der einzelnen Projekte ermöglichte erst der Ausbruch des Ersten Weltkrieges den Baubeginn der Eisenbahn.
Folgende Möglichkeiten kamen in Frage:
- „Dolomitenbahn“: Gröden – Sellajoch – Pordoijoch – Arabba – Falzaregopass – Cortina d’Ampezzo – Toblach.
- Verbindung Bozen – Kastelruth – St. Ulrich und weiter wie unter Punkt eins beschrieben. Dieser Vorschlag wurde vor allem von der Gemeinde Bozen unterstützt, da diese sich bereits damals als „Tor der Dolomiten“ sah.
- Verbindung Brixen – Gröden oder Klausen – Gröden.
- Verbindung Waidbruck – Gröden oder Waidbruck – Kastelruth – Gröden.
Hinter all diesen Vorschlägen standen natürlich auch zahlreiche Eigeninteressen, die man bei der österreichisch-ungarischen Monarchie durchzusetzen gedachte. 1908 gab schließlich der für die Eisenbahnen zuständige Minister aus Wien den Auftrag für ein definitives Projekt zum Bau einer Bahn von Klausen nach St. Ulrich mit einer evtl. Verlängerung bis nach Plan. Hier ein kurzer Blick auf die Geschichte, um besser verstehen zu können, warum die Bahn genau in Kriegszeiten erbaut worden war: Italien, das seit 1882 mit dem Österreichisch-Ungarischen Reich sowie mit Deutschland alliiert war, hatte bereits 1915 geheime Abkommen mit Frankreich (einem Alliierten Englands) abgeschlossen und wollte zu diesen übertreten sollte Österreich sich noch weiter, ohne Einverständnis der Italiener, Richtung Osten ausbreiten. Dass die Allianz zwischen Italien, Frankreich und England immer enger wurde, war den österreichischen Geheimdiensten natürlich nicht verborgen geblieben. Diese strebten daher nach einer engeren Verbindung zu Südtirol und zu anderen für Italien interessante Gebiete. Die Bahn war die beste Möglichkeit, um Munition, Waffen und Soldaten von einer Grenze zur anderen zu befördern. Die Grenze zwischen dem Österreichisch-Ungarischen Reich und Italien verlief vom Gardasee durch die Brentagruppe, die Palagruppe, das Fassatal, die Marmolata, den Nuolau und den Monte Cristallo bis hin zu den Drei Zinnen.
Am 23. Mai 1915 erklärte Italien Österreich den Krieg, woraufhin Österreich so schnell wie möglich Soldaten, Kriegsmaterial, Waffen und Nahrung an die Südfront bringen wollte. Bis nach Klausen und Toblach gelang der Transport reibungslos, ab da allerdings erwies er sich als schwierig, da die engen Straßen und Passübergänge, vor allem im Winter, nicht ungefährlich waren. Man war auf Pferde und Esel als einziges Transportmittel angewiesen, mit diesen aber kam man nur sehr langsam voran. 1915 ordnete das Militärskommando den Bau einer Eisenbahnlinie von Waidbruck oder Klausen bis nach Plan an. Gleich nachdem das Projekt des Ingenieurs Riehl gutgeheißen worden war, begann man mit den Arbeiten. Die Breite der Gleise war zunächst auf 1.000 mm festgesetzt worden, wurde dann aber auf 760 mm verringert, um schneller vorankommen zu können. Anstelle der im Projekt vorgesehenen Elektrolokomotive musste man sich daher auch mit einer Dampflok begnügen. Ende August wurde schließlich ein Arbeitsplan erstellt, der eine 24 km lange Bahnlinie von Klausen bis nach Plan vorsah. Um Zeit zu gewinnen, wurden die 50 Wagons und 5 Lokomotiven von der Eisenbahn Mori übernommen, die kriegsbedingt stillstand. Da für den Bau der Eisenbahn unzählige Helfer, Techniker und Ingenieure benötigt wurden, beauftragte man die 29. Eisenbahnkompanie mit den Arbeiten. Es wurden zudem russische Kriegsgefangene von der Ostfront geholt (insgesamt fast 6.000, davon kamen etwa 1.000 nach Wolkenstein, wo sie im Oktober 1915 eintrafen). Zusätzlich wurden einige wichtige Firmen aus Österreich beauftragt sowie an die 800 Zimmermänner, die für den Bau der Brücken verantwortlich waren. Am 23. Dezember erreichte schließlich der erste Wagon die Haltestelle von Plan, auch wenn noch zahlreiche Arbeiten ausständig waren. Die wichtigsten Arbeiten galten zwar im Februar 1916 als abgeschlossen (wie man dem bekannten Lied über die Grödner Bahn entnehmen kann), es wurde jedoch noch den ganzen Frühling über an der Bahn gearbeitet, z. T. sogar bis in den Sommer hinein. Die fleißigsten Arbeiter halfen in dieser Zeit auch den Bauern auf dem Feld und auf den Wiesen, da zahlreiche junge Grödner an der Ostfront im Einsatz waren. Fast jeder Bauernhof in Wolkenstein beschäftigte einen oder sogar zwei Arbeiter. Die Eisenbahn war zunächst natürlich nur für Kriegszwecke bestimmt gewesen: zum Transport von Kriegsmaterial und Soldaten. Erst Ende 1917 durfte auch die zivile Bevölkerung die Bahn benutzen, nachdem nämlich Österreich die Schlacht am Isonzo gewonnen hatte und die Dolomitenfront gefallen war.
Im Winter 1915-16 beförderte die Grödner Bahn große Mengen an Material nach Plan (bis Ende 1915 von St. Ulrich aus mit der Seilbahn von St. Christina nach Santuel-La Sëlva, weiter Richtung Predes und Frëina bis nach Plan). Hier wurde das Material auf die Seilbahnen Richtung Grödner- und Sellajoch umgeladen, die Mitte November 1915 in Betrieb genommen worden waren. Diese elektrischen Standseilbahnen waren in der Lage pro Tag 250.000 kg Material zu befördern. Die Seilbahnen waren auf großen Ständern erbaut worden, auch die Materialkisten selber waren aus Holz. Dennoch handelte es sich um eine technische Neuerung von großem Wert. Österreich hatte an seinen Grenzen insgesamt 770 km Bahnen erbauen lassen (das entspricht fast der Länge an Aufstiegsanlagen des Dolomiti Superski). Zur gleichen Zeit wurden auch die Straßen zum Sella- und Grödnerjoch ausgebaut, damit die Truppen leichter vorankommen konnten. Die Seilbahnen blieben bis zum Kriegsende 1918 in Betrieb. Wie kam es eigentlich zur Enteignung der für den Bau der Eisenbahn benötigten Grundstücke? 1915 wurden die Grundstücke zunächst besetzt, 1917 wurde dann ein Preis von 50 Heller vereinbart (10 m Land entsprachen einem Wert von 1 kg Fleisch). In Wolkenstein waren fast 9 ha Land enteignet worden, der Großteil davon den Bauern sowie dem Grafen von Wolkenstein. Niemand hat für die Enteignung jedoch je einen Heller gesehen, da der Wert in Form von österreichischen Staatsleihen ausgezahlt worden war, die nach dem Krieg wertlos waren. Mehrere Bauernhöfe wurden zweigeteilt und die Felder wurden nur mehr zu steilen Hängen, vor allem vom Hotel Grisi (Wolkenstein) bis La Poza und von La Bula bis Plan. Die Eisenbahn kreuzte in Wolkenstein mehrere Straßen, so am Hotel Grisi (oberhalb der Hauptstraße), bei La Poza (wo sich auch eine Haltestelle befand), weiters bei Lambolt, in der Nähe des Col da Rainel, bei Rustlea, bei La Sia, in der Nähe der Kirche und am Dantercëpies. Es wurden insgesamt acht Straßen sowie zahlreiche kleinere Wege überquert, Bahnschranken gab es nirgends.
Was aber sagte die einheimische Bevölkerung zum Bau der Eisenbahn?
Der Bau der Eisenbahn war natürlich eine große Besonderheit, auf die man über 15 Jahre lang gehofft hatte, aber die Tatsache, dass auf einmal 1.000 fremde Leute nach Wolkenstein gekommen waren, die noch dazu eine fremde Sprache sprachen, hungrig waren und schlecht gekleidet, hinterließ keinen so guten Eindruck. Damals zählte der Ort ja nur knapp über 1.000 Einwohner und ein Großteil davon war an der Front. Und dann gab es noch die vielen Offiziere, die auf Privatbesitz allerhand Messungen durchführten ohne überhaupt um Erlaubnis zu fragen.
Viele Wolkensteiner erinnern sich noch heute an die Erzählungen ihrer Großeltern über die armen Russen, die in Stadeln übernachteten und um Milch, Kartoffeln oder Rüben bettelten, aber auch darüber, wie die Einheimischen ihre Felder bewachen mussten, um von den Russen nachts nicht bestohlen zu werden, die nur ihren großen Hunger stillen wollten. Die Tatsache, dass diese fremden Leute schlecht gekleidet waren und ein ungepflegtes Äußeres hatten schürte in vielen Einheimischen die Angst. Dem Lied über die Grödner Bahn „La ferata de Gherdëina“ kann man entnehmen, wie schwierig der Umgang mit den Kriegsgefangenen für viele Wolkensteiner war. Es war außerdem zu einem tragischen Zwischenfall gekommen: Bei Rustlea dessot war Amadio Delago von russischen Gefangenen getötet worden, als er sie dabei überrascht hatte, wie sie eine Ziege stehlen wollten. Nach dem Ende des Krieges am 4. November 1918 (Österreich hatte einen Tag vor Italien, also am 3. November, aufgehört zu kämpfen), war Südtirol von Italien eingenommen und am 2. September 1919 im Friedensvertrag von St. Germain Italien zugesprochen worden. Dadurch fiel auch die Eisenbahn 1920 an Italien (an die „Ferrovie Italiane“) und die Angestellten der Eisenbahn kamen von da an von auswärts. Früher stammten sie vorwiegend aus Tirol, dem Eisacktal und auch aus Gröden. Tubia Perathoner vom Linacia-Hof musste sogar seinen Namen in Paratoni umändern, um unter faschistischem Regime weiterhin bei der Bahn arbeiten zu dürfen.
Die Eisenbahn durchlebte Höhen und Tiefen, und man musste einsehen, dass sie keine Zukunft haben würde. Eine Modernisierung der Bahn war bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von nur 14 bis 18 km/h unvermeidbar. Auch die Schienen waren in schlechtem Zustand. Die italienische Regierung wollte den Bahnbetrieb bereits 1938 einstellen, der damalige Kommissär („podestà“) Ingenieur Arturo Tanesini setzte sich jedoch für die Erhaltung der Bahn ein. Mit Erfolg. Die Brücken (z. T. noch aus Holz) wurden restauriert und durch neue Brücken aus Beton und Stein ersetzt. Als man nach dem Zweiten Weltkrieg (in den Jahren 1946 bis 1948) erneut davon sprach den Betrieb einzustellen, wurde in Gröden ein Komitee gegründet, das sich für den Erhalt der Bahn einsetzte. Diesem Komitee gehörte auch der Hotelier Ossi Pitscheider (Hotel Oswald) an. Die Grödner Bahn war nämlich das einzige Verkehrsmittel, das die Verbindung zum Eisacktal garantierte. Sogar 1951, einem Winter mit riesigen Schneemengen, war die Bahn ununterbrochen in Betrieb und stellte die einzige Möglichkeit dar das Tal zu verlassen oder ins Tal zu gelangen. 1953 wurde eine Genossenschaft gegründet, die die Bahn erhalten wollte.Dies gelang nicht. Der Automobilverkehr hatte nämlich weiterhin an Bedeutung gewonnen, ebenso die Buslinien (vor allem jene der SAD). Die Grödner Bahn konnte mit dem Wandel der Zeit nicht mehr mithalten, und es fehlte an politischem Willen und damit verbunden am nötigen Geld die Bahn zu erneuern. Am 29. Mai 1960 fuhr die alte Grödner Bahn nach 44 Dienstjahren, reich an vielen schönen Erinnerungen, ein letztes Mal durch das Tal, begleitet von Musikkapellen, zahlreichen Autoritäten und einer großen Menschenmenge. Der damalige Bürgermeister von Wolkenstein Rudi Kasslatter (Hotel Olympia) stellte bereits am 20. August 1960 den Antrag zum Erwerb des gesamten von der Eisenbahn besetzten Areals. 1969 bot der italienische Staat der Gemeinde Wolkenstein die Fläche von insg. 90.000 m² zu einem Preis von 151.715.000 Lire (fast 76.000,00 Euro) an. Der Preis wurde damals jedoch als zu hoch erachtet, da das Gelände ursprünglich unter Österreich für sehr wenig Geld enteignet worden war. 1980 gelang es der Gemeinde schließlich sich die Verwaltung der gesamten Fläche übertragen zu lassen, so dass sie die ehemalige Bahntrasse erhalten und zu einem beliebten Spazierweg ausbauen konnte. In der Zwischenzeit hatten allerdings auch schon mehrere Private einige Teilstücke gepachtet oder sogar erworben. Erst 2005 wurde die Fläche der Gemeinde überschrieben, nachdem diese durch ein Gesetz im Rahmen des Autonomiestatutes Trentino-Südtirol an die Provinz Bozen übergegangen war. Der von der Gemeinde bezahlte Betrag für die bis dahin noch ca. 8 ha Grund belief sich auf 318.442,00 Euro. Bereits zuvor hatte man einige Teilstücke angekauft (so z. B. die Fläche des Fußballplatzes in Plan, die Straße unterhalb der Kirche Richtung Pranives u. a.).
Ich selber erinnere mich noch daran, wie wir in den Jahren 1958-59 mit der Bahn bis zur Kunstschule fuhren und beim Hotel Grisi aus dem fahrenden Zug sprangen. Ich erinnere mich auch daran, wie samstags viele Gäste mit der Bahn anreisten. Die größeren Hotels ließen das Gepäck der Gäste von ihrem Hausmeister abholen, Privatvermieter hingegen warteten persönlich am Bahnhof auf ihre Gäste oder aber ließen sie von einem Pferdegespann holen.