Die Holzschnitzerei
Handel, Holzschnitzerei, Drechseln und Fassmalerei haben den Grundstein für den Wohlstand in unserem Tal gelegt und Gröden auch über die Grenzen hinaus bekannt gemacht.
Die Grödner (und vor allem die Wolkensteiner), die von der Landwirtschaft lebten, musste sich schon vor über 100 Jahren einen Nebenerwerb suchen, um über die Runden zu kommen. Der Viehhandel und der Verkauf von Holz oder selbst angebauten Produkten reichten nicht aus, um die Familie zu ernähren. Schon ein kleiner unvorhergesehener Zwischenfall im Stall konnte den Bauern zwingen den Hof zu verkaufen und das Tal zu verlassen. Bereits um 1600 verdienten sich einige Grödner etwas dazu, indem sie als Wanderhändler die Spitzen verkauften, die die Frauen in den Wintermonaten klöppelten. Durch Fleiß und Ausdauer gelang es vielen Einheimischen sich durch das Kunsthandwerk eine zusätzliche Einnahmequelle zu schaffen. Bereits im 17. Jh. widmeten sich einige Grödner der Anfertigung von sakralen Figuren, Statuen und Altären (Familien Trebinger und Vinazer), Holzfiguren und Holzspielzeug. Die ersten Bildhauer, die namentlich erwähnt wurden, waren Christian de Trëbe (um 1580 in St. Jakob oberhalb von St. Ulrich geboren) und später Melchior Vinazer, 1622 am Bucinea-Hof in St. Christina geboren.
Diese ersten Holzbildhauer erlernten das Schnitzen zunächst bei Adam Baldauf in Brixen und später bei Raffael Barat. Die nächste Generation zog dann schon nach Wien und Venedig, um sich dort weiterzubilden (so im Buch der „Vinazer“ von Nicolò Rasmo nachzulesen).
Während in St. Ulrich vor allem das Anfertigen von Altären und Statuen Fuß gefasst hatte, widmeten sich in Wolkenstein die Holzschnitzer vor allem der Herstellung von Holzspielzeug, kleinen Tieren und später Krippenfiguren. Zahlreiche Grödner verließen das Tal, ließen sich anderswo nieder und verkauften von dort Holzwaren nach Italien, Portugal, in die Schweiz, Frankreich, Deutschland und in andere Länder.
Das Kunsthandwerk entwickelte sich so weit, dass es um 1900 in Gröden kaum mehr einen Haushalt gab, in dem nicht geschnitzt, gedrechselt oder gemalt wurde. In Wolkenstein gab es keine besonders großen Holzschnitzerwerkstätten. Die größte war wahrscheinlich jene von Matthias Comploj (Haus Domur), der von 1898 bis 1910 sieben Holzschnitzer und acht Tischler beschäftigte. Im Haus Domur war auch die erste Kunstschule untergebracht. Man hatte erkannt, dass die Nachfrage an Holzschnitzereien immer größer wurde und dass es daher wichtig wäre dieses Handwerk, wie schon in St. Ulrich, in einer Kunstschule zu lehren. Im 19. Jh. bildeten sich dann in Wolkenstein kleine und größere Betriebe, die Holzwaren vertrieben: ANRI (ab 1872), SEVI (ab 1831), Pigon (Ende des 19. Jhs), Nucia und Solech. Das Kunsthandwerk erlebte seine Blütezeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Vor, während und nach dem Krieg (bis 1980) wurde in fast jedem Haus geschnitzt. Von den vielen begabten Schnitzern möchten wir einige namentlich erwähnen: Trina Kasslatter (Gustin), Prof. Luis Senoner (Ronch), Prof. Albino Pitscheider (Menza), Luis Insam (Romano) und Adam Demetz (Col da Larjac). In vielen Familien hatte die Holzschnitzkunst Tradition, so z. B. in den Familien von Burdengëia, Daunëi, Guton, Santuel, Plazola, Larciunëi, Col, Piciulëi und Lambolt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen dann die ersten Schnitzmaschinen auf. Anton Riffeser (ANRI) hatte sie nach Gröden gebracht, nachdem er solche „Pantografen“ in Deutschland gesehen hatte, um sie für die Verarbeitung von Holzgegenständen einzusetzen. Einer Recherche von Vinzenz Mussner aus St. Ulrich zufolge (im Calënder de Gherdëina 1983 veröffentlicht), waren in Wolkenstein 1982 folgende Berufe ins Handelsregister eingetragen: 35 Bildhauer, 23 Holzschnitzer, ein Fassmaler und elf Tischler. Es gab dann natürlich auch noch die Arbeiter, die bei den Firmen ANRI oder SEVI angestellt waren, sowie andere, die nur in jenen Monaten schnitzten, in denen sie nicht mit der Landwirtschaft beschäftigt waren. Zahlreiche Frauen arbeiteten zu Hause und waren nicht versichert. Das Geschäft mit der Holzschnitzerei florierte nach dem Zweiten Weltkrieg etwa 50 Jahre lang. Die Anschaffung von Schnitzmaschinen führte allerdings dazu, dass ähnliche Produkte zu niedrigeren Preisen auch im Ausland angefertigt wurden.
Anfrage und Lebensstil haben in den letzten Jahren einen großen Wandel durchgemacht, was zu einer Krise im Vertrieb von Holzschnitzereien geführt hat. Wir müssen allerdings zwischen Holzbildhauern und Holzschnitzern unterscheiden: Während erstere handgefertigte Unikate herstellen, bearbeiten letztere maschinell vorgefertigte Figuren. Die Einzelstücke sind nach wie vor sehr gefragt.
Die Firma ANRI
Die Firma ANRI war über ein Jahrhundert lang der wichtigste Arbeitgeber in Gröden. Die wirtschaftliche Entwicklung im Tal, und vor allem in St. Christina und Wolkenstein, hing eng mit dem Erfolg der Firma ANRI zusammen. Bereits 1872 begann Luis Riffeser (Maciaconi) mit dem Vertrieb von Holzfiguren. Sein Sohn Anton gründete dann zusammen mit seiner Gattin Karolina Riffeser (Tieja) eine Firma mit Sitz in der Villa Sonnenberg in St. Christina. Der Name der Firma ergibt sich aus den Initialen von ANton RIffeser (ANRI). Die ersten Geschäftsverbindungen waren äußerst erfolgreich und ließen positiv in die Zukunft blicken. Die Entwicklung der Firma wurde jedoch durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges jäh unterbrochen. Anton Riffeser musste bei den Kaiserschützen einrücken und wurde 1914 an der Galizischen Front von den Russen gefangen genommen und nach Sibirien gebracht. Erst 1921 wurde er mit Hilfe des Roten Kreuzes und der „Amerikanischen Gefangenen Betreuung“ wieder freigelassen. Anton Riffeser, der fließend englisch sprach, pflegte auch nach seiner Rückkehr die Kontakte zu diesen Organisationen und legte dadurch den Grundstein für seine internationalen Geschäfte. 1923 stellte Anton Riffeser erstmals ANRI-Produkte in Mailand aus und ließ aus diesem Anlass auch einen ersten Produktkatalog drucken. 1925 wurde dann der Firmensitz in St. Christina gebaut. Dieser bot Platz für Büro- und Ausstellungsräume sowie ein Magazin und Räumlichkeiten, wo die Ware verpackt wurde. Der Rückgang der Wirtschaft sowie der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und dessen Folgen hinterließen allerdings auch in Gröden ihre Spuren. Der Familie Riffeser gelang es dennoch den Großteil der Belegschaft zu behalten und weiterhin Heimarbeiter zu beschäftigen. 1949 begann die Firma ANRI für die Anfertigung von Holzschnitzereien Maschinen einzusetzen (wie dies in der Schmuckindustrie bereits üblich war). Diese Neuerung beeinflusste stark den Markt. 1952 wurden die Fabrikhallen am Plan da Tieja gebaut. Eine Anstellung bei der „Fabrik ANRI“ wurde immer gern gesehen, und so arbeiteten schon bald 120 Holzschnitzer und Fassmaler vor Ort im Betrieb und 100 Heimarbeiter zuhause.
Die klaren Regeln der Firmenleitung garantierten eine Sozialversicherung, klar definierte Arbeitszeiten und ein sicheres Einkommen. Die Marktstrategie wurde immer professioneller, und die Firma ANRI wurde marktführend im Bereich der Holzschnitzerei und machte den Namen Gröden und Dolomiten auch über die Grenzen hinaus bekannt. In ihren besten Jahren zählte die Firma sogar bis zu 230 Mitarbeiter.
Den größten Erfolg verzeichnete ANRI bei der Herstellung von Krippenfiguren, Schachfiguren, Kinderfiguren, sakralen Figuren, Carillons mit bekannter Filmmusik (z. B. „Lara“ aus „Dr. Schiwago“), Figuren von Ferrandiz und Sarah Kay, naturalistischen Figuren von Gunter Granget, Pferden und Hunden von Helmut Diller, der Bachlechner-Krippe und natürlich der Krippe „Terra Santa“, die in Zusammenarbeit mit dem Vatikan entworfen worden war. Nach 1990 beeinflussten die Globalisierung und die Herstellung von Billigware aus dem Osten die Wirtschaft, sodass der Handel mit Holzschnitzereien immer schwieriger wurde. Auch die Firma ANRI bekam dies zu spüren und war daraufhin gezwungen die Produktion zu verringern. Im Jahr 2000 übernahm Thomas Riffeser in vierter Generation die Leitung des Betriebes.
Die Firma SEVI
Die Firma SEVI war zusammen mit der Firma ANRI Ende des 19. Jahrhunderts und bis in die 1970er Jahre der wichtigste Arbeitgeber in Wolkenstein und Europaweit einer der führenden Betriebe in der Herstellung von Holzschnitzereien. Die Firma wurde von Josef Anton Senoner (1805-1880) gegründet. Nachdem er als Wanderhändler durch ganz Europa gezogen und dadurch etwas Geld verdient hatte, kaufte er das Haus Vastlé (Plan da Tieja) und begann 1831 mit dem Verkauf von kleinen Holzfiguren. Im selben Haus richtete er auch ein kleines Kurzwarengeschäft ein. Noch im selben Jahr wurde der Betrieb ins Register der Handelskammer Bozen eingetragen. Sein jüngster Sohn Vinzenz (1846-1908) übernahm 1876 die Firma und zahlte seine neun Geschwister aus. 1893 wurde die Firma SEVI (SEnoner VInzenz) bei der Tiroler Landesausstellung in Innsbruck mit der Bronzemedaille ausgezeichnet. Der Erste Weltkrieg brachte den Vertrieb der Firma SEVI zum Stillstand, danach aber gelang es Sohn Adolf Sen. (1888-1945), der den Betrieb 1908 geerbt hatte, die Geschäfte wieder anzukurbeln. Nachdem anfangs vor allem geschnitzte Gegenstände verkauft wurden, stieg man später auf gedrechselte Holzgegenstände um, die zu niedrigeren Preisen angeboten werden konnten. Die Vorkommnisse im Zweiten Weltkrieg und das Aufkommen des Faschismus wirkten sich erneut negativ auf die Geschäfte aus. Adolf Senoner, der politisch sehr engagiert war, wurde am 17. Mai 1945 von den Partisanen getötet. Sein Sohn Adolf Jun. (geb. 1914) übernahm daraufhin 1945 den Betrieb. Der Firmensitz am Plan da Tieja beschäftigte 80 Mitarbeiter vor Ort sowie 200 Heimarbeiter.
Die Firma SEVI erlebte ihre Blütezeit zwischen 1965 und 1970. Damals zählte sie 140 Mitarbeiter und beschäftigte zusätzlich 200 Heimarbeiter, was dazu führte, dass 1977 die Fabrikhallen in Pontives gebaut wurden. SEVI hatte ihre größten Abnehmer in den Vereinigten Staaten (70%), Italien und Deutschland. Die Konkurrenz aus dem Ausland nahm 1980 allerdings immer mehr zu, sodass man gezwungen war die Produktion im Tal einzustellen und diese in den 1990er Jahren nach Sri Lanka zu verlegen. 1998 wurde SEVI von der Firma TRUDI aufgekauft, die noch heute Spielwaren und Holzspielzeug unter dem Namen SEVI vermarktet, diese allerdings in China herstellt.
Weitere Vertreiber von Holzschnitzereien in Wolkenstein
Alois Riffeser - Maciaconi (1844-1922)
Alois Riffeser besaß eine der ersten Vertriebsfirmen in Gröden (vermutlich zwischen 1867 und 1872 gegründet). Durch den Handel mit Holzschnitzereien brachte er es innerhalb weniger Jahre zu Wohlstand, und so baute er 1877 das Haus Maciaconi (heute Hotel Maciaconi) und eröffnete hier einen Laden. Alois Riffeser war der Vater von Anton Riffeser, dem Gründer der Firma ANRI.
Ferdinand Riffeser - Pigon
Gegründet von Vinzenz Riffeser, dem Vater von Ferdinand Riffeser, ist die Firma Riffeser eine der ältesten im Tal. Wann genau die Firma gegründet wurde, ist nicht bekannt, mit Sicherheit jedoch vor dem Ersten Weltkrieg. Seit Ende des 20. Jahrhunderts verkaufte Pigon vorwiegend Waren, die aus dem Ausland importiert wurden. Im Jahre 2012 wurde der Betrieb eingestellt.
Luis Perathoner - Nucia
Batista Perathoner begann bereits um 1900 im Haus Solech mit dem Vertrieb von Holzschnitzereien. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Betrieb zunächst von Sohn Luis Sen. (1891-1965) und später von Luis Jun. (1932-1989) zusammen mit dessen Schwester Maria und der Gattin Hildegard weitergeführt. Seit dem Jahr 2000 werden hier auch verschiedene andere Souvenirartikel verkauft.
Ciajea
Nach dem Ersten Weltkrieg begannen auch Giuani Senoner (Valantin – um 1925) und August Mussner (Ciajea –1936) mit Holzfiguren zu handeln. Das Geschäft Ciajea wird noch heute von dessen Sohn Walter geführt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg boten auch verschiedene andere Geschäfte Holzschnitzereien zum Verkauf an. Sie hatten damit vor allem von 1950 bis 2000 großen Erfolg. Seit 2000 ist dieser Sektor allerdings stark rückläufig.